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Villa Rossa 2021: Programm, Personen, Texte

Im Folgenden finden sich für die Mitwirkenden an der Villa Rossa 2021 Angaben zu Referentinnen und Referenten,  kurze Hinweise zu Themen sowie Lektüretexte und Literaturhinweise.

 

23.8. Die Eindämmung der Covid-19-Pandemie: Versäumnisse, Illusionen und Perspektiven (Thomas Gerlinger)
Zum Thema: Die Covid-19-Pandemie ist (nur) das jüngste Beispiel einer langen Kette von global verbreiteten Infektionskrankheiten und des Versuchs ihrer Eindämmung. Dieser Beitrag geht auf Lehren ein, die sich aus der Entwicklung früherer Epidemien/Pandemien ziehen lassen. Er skizziert wichtige Herausforderungen bei der Überwindung  der Covid-19-Pandemie und fragt danach, ob und inwieweit die Gesundheitspolitik ihnen bisher Rechnung getragen hat. Schließlich befasst er sich mit den möglichen Konturen einer neuen Normalität mit und nach Corona.
Literatur: Redaktionsnetzwerk Grimm-Covid-19: Imre Grimm  Wie wird es enden? Warum die Hoffnung auf einen CoronaImpfstoff trügerisch sein kann.  v.3.9.2020.
Zur Person: Thomas Gerlinger ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und leitet dort die Arbeitsgruppe „Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie“.

23.8. New normal: Drohung und Verheißung nach dem Coronaschock  (Clemens Knobloch)
Zum Thema: Der Beitrag versammelt ein paar Zukunftsvignetten zu der „neuen Normalität“, die uns „nach Corona“ bereitet werden soll.  Auf die Frage nach der Formel zur Lösung aller Probleme antwortet der Großcomputer in Douglas Adams´ „Per Anhalter durch die Galaxis“ nach langer Bedenkzeit mit der Zahl 42. Für die Post-Corona-Medienlandschaft ist Digitalisierung die technologische Formel für die Lösung aller Probleme. Die Ideologie der Digitalisierungsmafia ist der „Solutionismus“ (Morozov), der Glaube an effiziente technische Lösungen für alles qua Algorithmen. Daher zuerst ein kurzer Blick auf den seit Corona hoch expansiven und hoch aggressiven Digitalisierungshype. Danach dann noch ein Seitenblick auf das eher sozialtechnologisch implementierte Erziehungsprogramm, das die neoliberalen Eliten für uns als Lehre aus Corona vorgesehen haben.
Literatur: Jürgen Link: Durch wilde Kurvenlandschaften _zurück zur Neuen Normalität, in: Telepolis v.3.12.2020.
Zur Person: Prof. Clemens Knobloch. Er übte zwischen 1987 und 2016 eine Professur Germanistik/Linguistik an der Univ. GH Siegen und ist gegenwärtig u.a. assoziiertes Mitglied des Diskursmonitors (Uni Siegen) und u.a. auf dem Arbeitsgebiet politische Kommunikation tätig.

23.8. Corona-Krisendynamik und Krisenpolitik aus klassenanalytischer Perspektive (Thomas Sablowski)
Zum Thema: Der Beitrag soll vor allem die Wirkungen der Pandemie und der Krisenpolitik der Bundesregierung auf die sozialen Klassen in Deutschland thematisieren. Ich unterscheide zwischen Kapitalistenklasse, mittlerer Bourgeoisie, Kleinbürgertum, lohnabhängiger Mittelklasse und Arbeiterklasse. Vielleicht verrät der Blick auf den Verlauf der Pandemie auch etwas über die Handlungsbedingungen, unter denen die Zukunft gestaltet wird.
Literatur: Thomas Sablowski: Klassenkämpfe in der Corona-Krise
Die Auseinandersetzung um die wirtschaftspolitischen
Maßnahmen der Bundesregierung, in: PROKLA 200 | 50. Jahrgang | Nr. 3 | September 2020 | S. 519-542 https://doi.org/10.32387/prokla.v50i200.1904
Zur Person: Thomas Sablowski ist Referent für politische Ökonomie der Globalisierung im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er ist u.a. Mitglied von Attac, des Forum Arbeitswelten – China und Deutschland, der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung, des Redaktionsbeirats der Zeitschrift PROKLA und des Beirats des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) sowie Fellow des Berliner Instituts für kritische Theorie (InkriT).

23.8. Europäische Union und Deutschland nach der Corona-Pandemie (Hans-Jürgen Bieling)
Zum Thema:  Krisen, so auch die Covid 19 Pandemie, fungieren häufig als Katalysatoren mittel- und längerfristig wirksamer Prozesse. Solange die Krise anhält, ist es allerdings nicht ganz leicht zu bestimmen, welche mittel- und längerfristigen Prozesse beschleunigt oder aber gebremst werden, zumal in der Krise unterschiedliche Interessen und Deutungsangebote konkurrieren. So offen der Ausgang der Krise vorerst noch bleibt, so scheint doch erkennbar, dass die politischen Diskussionen vermehrt durch Fragen geprägt werden, die die Gestaltung der (öffentlichen) Infrastruktur betreffen: Dies gilt zum einen für die Infrastrukturen der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge (Bildung, Forschung, Pflege, Wohnen, Mobilität etc.); zum anderen aber auch für die globalen Infrastrukturen (Bahntrassen, Seewege, Pipelines, Internet, Zahlungsverkehr etc.), über deren Kontrolle im Zeichen einer neuen Triade-Konkurrenz (zwischen den USA, der EU und China) geopolitisch gerungen wird. Die EU steht als eine Handlungsebene im Spannungsfeld der konkurrierenden gesellschaftlichen und globalen Interessen und Handlungslogiken. Sie scheint sich in der Covid 19 Pandemie programmatisch partiell neu zu orientieren, was auch durch eine veränderte Prioritätensetzung der deutschen Bundesregierung gefördert worden ist.
Literatur: Zur Vorbereitung: Bieling, Hans-Jürgen (2021): Europäischen Integration im Zeichen des amerikanisch-chinesischen Hegemoniekonflikts. In: Aulenbacher, Brigitte/Deppe, Frank/Dörre, Klaus/Ehlscheid, Christoph/Pickshaus, Klaus (Hrsg.): Mosaiklinke Zukunftspfade. Gewerkschaft, Politik, Wissenschaft. Münster: Westfälisches Dampfboot, 391-398.
Urban, Hans-Jürgen (2020): Corona und der Blick auf ein anderes Europa. Die EU steht vor einer ungewissen Zukunft, in: AK infobrief EU & International, Nr. 3, 2-8.
Weiterführend: Lavery, Scott; Schmid, Davide (2021): European Integration and the New Global Disorder, in Journal of Common Market Studies 59 (online first). DOI: 10.1111/jcms.13184.
Watkins, Susan (2021): Paradigm Shifts, in: New Left Review, Second Series 128, 5-22.
Zur Person: Prof. Dr. Hans-Jürgen Bieling ist Professor für Politik und Wirtschaft am Institut für Politikwissenschaft der Eberhard-Karls-Universität Tübingen mit Forschungsschwerpunkten im Bereich der Internationalen Politischen Ökonomie und Europäischen Integration und ist u.a. Mitherausgeber der Zeitschrift „Internationale Beziehungen“.

24.8. Corona Democracy – Notstand – Ausnahmezustand. Prognosen zur Entwicklung der rechtsstaatlichen Demokratie nach der Pandemie. (Peter Hauck-Scholz)
Zum Thema: Nach einem Überblick über einige verfassungsrechtliche Grundbegriffe folgt eine kurze Schilderung des staatlichen Handelns bei seinen Maßnahmen gegen die Pandemie mit kritischer verfassungsrechtlicher Würdigung. Auf dieser Grundlage wird ein spekulativer Ausblick zur zukünftigen Entwicklung der rechtsstaatlichen Demokratie gewagt.
Literatur:  Heribert Prantl: „„Ich hoffe, dass die Gesellschaft aufwacht“. Interview mit der Berliner Zeitung v. 30.1.2021;
Weiter: Gusy, Christoph: Ende der Krise ohne Ende des Krisenrechts?, in: VerfBlog, 2021/6/15, DOI: 10.17176/20210615-193300-0.
Florian Meinel: Parlament und Regierung im notstandsverwalteten Deutschland, in: Merkur 863, April 2021 S.55-61; Dietrich Murswiek: Die Corona-Waage- Kriterien  für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Corona-Maßnahmen, in: NVwZ – Extra 5/2021, S.1-15; Lamia Amhaouach: Die Beteiligung der Landesparlamente in der Pandemie -Modelle und Entwicklungen, in: NVwZ Sonderausgabe  Corona 2021, S.20-25; Christoph Brüning: Was wirklich nottut -Parlamentsroutine statt Notparlament, in: NVwZ 4.8.2021 S.272ff.
Zur Person: Peter Hauck-Scholz, ist Rechtsanwalt in Marburg und Fachanwalt für Arbeitsrecht und für Verwaltungsrecht. Er war an zahlreichen politisch relevanten Verfahren, vor allem beim Bundesverfassungsgericht beteiligt (Volkszählung; Hochschulmitbestimmung; Abwicklung der DDR-Akademien; Rechtsstellung von Fachhochschulprofessoren; Beobachtung von Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke durch den Verfassungsschutz). Zahlreiche Veröffentlichungen (demnächst: Arbeitszeiterfassung von Beamten, Zeitschrift für Beamtenrecht).

24.8. „Tech is at the crossroads“. Digitalisierung, globaler Kapitalismus und Politik auf der Suche nach Zukunftsperspektiven. (Richard Heigl)
Zum Thema: Der IT-Sektor und allen voran die „Big Tech“-Unternehmen (Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft) sehen sich einer neuen Periode gegenüber. Brad Smith, Präsident der Microsoft Corporation schreibt 2019: „Die digitale Technologie ist länger mit weniger Regulierung ausgekommen als praktisch jede andere wichtige Technologie vor ihr. Diese Dynamik ist nicht länger tragbar, und der Technologiesektor muss mehr Verantwortung übernehmen, während die Regierungen durch die Modernisierung der Technologiepolitik aufholen. Kurz gesagt, die 2020er Jahre werden umfassende regulatorische Veränderungen in der Welt der Technologie bringen.“ Rechenleistung, Cloud Computing haben in den 2010er Jahren technologische Fortschritte einer großen Öffentlichkeit verfügbar gemacht. Die Digitalunternehmen können heute gigantische Datenmengen sammeln. Und Smith erwartet nun im neuen Jahrzehnt durch Künstliche-Intelligenz-Algorithmen weitere große Schritte in Richtung Effizienz, Kontrolle, Prognose und Planung. Smith will bewusst kommende technologische Entwicklungen mit politischen Zielen verbinden: Die Bewältigung der Klimakatastrophe, Verteidigung der Demokratie, Erneuerung des Journalismus, Privacy, mehr Sicherheit, nationale und digitale Souveränität und sogar die Bewältigung von Einkommensungleichheit stehen auf seiner Agenda. Derartige Zukunftsangebote von staatsnahen Teilen der Tech-Industrie auf eine erneuerte und vor allem politisch eingehegte kapitalistische Gesellschaft kommen nicht von ungefähr, denn ganz offensichtlich verschärfte die marktgesteuerte Digitalisierung die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konflikte, die sie zu lösen vorgab. Und so haben sich das Wohlwollen und die uneingeschränkte Bewunderung der Technologiebranche verflüchtigt. Und auch die politischen Verantwortungsträger ringen um integrierende Zukunftsvisionen. Ein markantes Beispiel ist die „State of the Union Address“ von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen im Jahr 2020, die Digitalisierung konzeptionell mit einem Green Deal, „Wirtschaft im Dienst des Menschen“, einem stärkeren Europa und „neuen Schwung für die Demokratie“ verbinden will. Die politischen und wirtschaftlichen Eliten suchen also händeringend nach einem neuen, vermittelbaren kapitalistischen Wirtschaftsmodell. Die politische Linke steht nun vor der der Aufgabe, diese Gesamtbewegung zu analysieren, aufzunehmen, umzuarbeiten und zu einem neuen, demokratischen Gesellschaftsprojekt zu verbinden.
Literatur: Leider nichts Brauchbares gefunden bislang…
Zur Person“:  – Dr. Richard Heigl, Historiker, Mitgründer und Geschäftsführer des Wiki-Software-Unternehmens Hallo Welt! GmbH. Richard Heigl beschäftigt sich u.a. mit Wirtschafts- und Technologiepolitik.

24.8. Armut in und nach der Pandemie (Marianne Kolter)
Zum Thema: Der Beitrag gibt zunächst einen Überblick über die Situation in Deutschland, um dann 2 Fragen zur Diskussion zu stellen: Kann Armut verringert oder gar abgeschafft werden (mehr Arbeitsplätze, kürzere Arbeitszeiten, höherer Mindestlohn, BGE…)? Warum wehren sich die Betroffenen nicht?
LiteraturJoachim Bischoff/Bernhard Müller: Corona-Pandemie verstärkt soziale Ungleichheit. Hamburg als exemplarischer Fall. In: Sozialismus v. 30.7.2021.
Zur Person: Landessprecherin DIE LINKE. Schleswig-Holstein und Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Kreistag Pinneberg

24.8. Corona und die Verwilderung der Arbeitsbeziehungen. Zur Neukonfiguration von (Erwerbs-)Arbeit im Nach-Corona-Kapitalismus (Hans-Jürgen Urban)
Zum Thema: Bereits vor der Corona-Krise befand sich das System der Arbeitsbeziehungen in einem Prozess der Verwilderung. Tarifverträge, Mitbestimmung und Arbeitsrechte verloren an Durchschlagskraft. Die Corona-Krise hat diese Dynamik noch einmal beschleunigt. Vor allem die rasante Ausbreitung der Homeoffice-Arbeit könnte eine Spur in die zukünftige Arbeitswelt legen. Zu fragen ist, wer diese Welt dominieren und wie die Regulierung der Arbeitsbeziehungen in der Nach-Corona-Welt ausfallen wird.“
Literatur: Hans-Jürgen Urban (2019): Zwischen Verwilderung und Neukonfiguration. Arbeitsbeziehungen in der Transformation, in: Dörre, Klaus/Rosa, Hartmut/Becker, Karina/Bose, Sophie/Seyd, Benjamin (Hrsg.): Great Transformation. Die Zukunft moderner Gesellschaften. Wiesbaden: Springer, S. 401-420 sowie Hans-Jürgen Urban (2021): Heilsversprechen Homeoffice. Zu den Schattenseiten eines arbeitspolitischen Shootingstars, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2021, S. 103-113
Zur Person: PD Dr. Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandmitglied der IG Metall, zuständig für die Themen Sozialpolitik sowie Arbeitsgestaltung und Qualifizierungspolitik. Er ist Privatdozent an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Mitglied im Institutsbeirat DGB Index Gute Arbeit und Mit-Herausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik“.

26.8. Eine neue Welle des Sozialismus? (Frank Deppe)
Zum Thema: Untersucht die mögliche Wiederbelebung des Sozialismus in drei großen Abschnitten: Zunächst im Rückblick auf die Geschichte des modernen Sozialismusbegriffs seit der Erklärung der Menschenrechte im 19. Jahrhundert, anschließend mit Blick auf das Verhältnis Klasse – Partei – Staat, insbesondere im realen Sozialismus des 20. Jahrhunderts, und schließlich als Perspektive in einer »Welt des Aufruhrs«. Drei Jahrzehnte nach der welthistorischen Wende 1989 und zehn Jahre nach dem »Big Crash« von 2008 formieren sich sehr unterschiedliche neue weltweite Protestbewegungen. Mit der krisenhaften Erosion des Neoliberalismus konstatierte der Londoner Economist eine Renaissance des Sozialismus in den Zentren des Kapitalismus, und die Neue Zürcher Zeitung empörte sich über die »neue Lust am Sozialismus« gerade auch in den USA«. Inzwischen haben die Erschütterungen der Corona-Pandemie grundlegende Fragen des sozialen Zusammenhalts noch einmal neu auf die Tagesordnung gesetzt. Eine »Transformation« ist in ökologischer, sozialökonomischer und politischer Perspektive unaufschiebbar geworden. Die weltweite Debatte über die Wiederauferstehung des Sozialismus wirft viele Fragen auf. Dazu gehört das Lernen aus gescheiterten praktischen Versuchen, Ökonomie, Gesellschaft, Staat und Kultur jenseits des Privateigentums und der Profitproduktion zu gestalten. Entscheidend ist die Frage, ob der Weg »Klasse – Partei – Staat« (der durch die Struktur der kapitalistischen Gesellschaft und ihres politischen Systems objektiv vorgegeben ist) in einer historischen Sackgasse endet oder zu Verhältnissen beiträgt, in denen demokratische Rechte und Freiheiten mit sozialer Gerechtigkeit, Schutz der Umwelt und der Natur und entwickelten Formen der Selbstverwaltung verbunden sind.
Literatur: Im September 2021 wird im VSA-Verlag erscheinen der Band von Frank Deppe: „Sozialismus. Geburt und Aufschwung – Widersprüche und Niedergang – Perspektiven.“
400 Seiten € 29.80
ISBN 978-3-96488-116-8. Ein Auszug vorweg aus der Zeitschrift Z Sozialismus-Rückblick und Ausblick
Zur Person: 1972 – 2007 Professur Politikwissenschaft Uni Marburg, Mitherausgeber: „Sozialismus“ und „Z“; Mitglied im wissenschaftlicher Beirat der RLS

26.8. Die Utopie des Sozialismus. Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution (Klaus Dörre)
Zum Thema: Nachhaltig kann eine Gesellschaft nur sein, wenn sie den Zwang zu immer neuen Landnahmen bricht, der im kapitalistischen Besitz als Strukturprinzip angelegt ist. Eine Gesellschaft, die dieses expansive Prinzip auf demokratische Weise überwindet, muss eine sozialistische sein. Um wieder Strahlkraft zu gewinnen, muss der Sozialismus jedoch von seinem dogmatisch erstarrten Anspruch abrücken und nochmals zu einer attraktiven Utopie werden. Inhalt dieser Utopie kann nicht mehr die Befreiung der Produktivkräfte aus den Fesseln hemmender Produktionsverhältnisse sein. Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts steht für die Suche nach einer Notbremse, die den mit Hochgeschwindigkeit auf einen Abgrund zurasenden Zug zum Halten bringt. Noch ist Zeit, die Weichen so zu stellen, dass andere Auswege aus der epochalen ökonomisch-ökologischen Zangenkrise möglich werden.
Literatur: Ausführlich die gleichnamige und vermutlich eben erschienene Publikation: https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/die-utopie-des-sozialismus-ebook.html  sowie ausführlich der Vortrag: Die nächste Gesellschaft: nachhaltig, feministisch, ökosozialistisch (22.4.2021) https://www.youtube.com/watch?v=STOe_uDBprI
Zur Person: Klaus Dörre, 1957 in Volkmarsen-Kälte geboren, ist seit 2005 Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie in Jena. Er ist Gründungsmitglied des Instituts Solidarische Moderne, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac sowie Mitherausgeber u.a. des »Berliner Journals für Soziologie«. Gemeinsam mit Stephan Lessenich und Hartmut Rosa gründete er die Kollegforschungsgruppe Postwachstumsgesellschaften, die 2021 abgeschlossen wurde und mit dem Thüringer Forschungspreis ausgezeichnet wurde.

26.8. Über die globalen Realitäten der Pandemie (Jürgen Bönig)
Zum Thema: Da der ursprüngliche Referent Winfried Wolf sich gerade von einer gut verlaufenden Operation erholt, habe ich den Part übernommen, unsere Analyse der internationalen Aspekte der Pandemie aus den Zeitschriften lunapark21 (https://www.lunapark21.net/) und faktencheck Corona (www.info-faktencheck.de) darzustellen und einige nicht auf der Hand liegende Schlussfolgerungen vorzustellen. Die Redaktion der lunapark21 hat sich seit Beginn der Pandemie mit den Auswirkungen beschäftigt, zunächst mit der Verbindung zur Wirtschaftskrise, dann mit den Auswirkungen auf das (privatisierte) Gesundheitssystem und schließlich mit den Vorsichtsmaßnahmen beim privaten Konsum, dem keine entsprechenden Maßnahmen in der Erwerbsarbeit gegenüberstanden.
Als Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie hatten wir dabei sehr früh die unterschiedlichen Maßnahmen und Auswirkungen der Pandemie in verschiedenen Ländern im Blick. Die Gesellschaften rund um den Globus sind sehr unterschiedlich und in verschiedenen Phasen von der Pandemie getroffen worden. Offensichtlich hat immer und auch eine Rolle gespielt, wie die Gesellschaften strukturiert sind, welche Politiken verfolgt worden sind, welche Rolle der Staat spielt und wie weit die staatliche Aufgabenfelder und speziell das Gesundheitssystem entwickelt bzw. neo-liberal heruntergewirtschaftet worden sind. Als Erkenntnis könnte sich ergeben, dass sehr unterschiedliche Formen des Staates, seiner Aufgaben und seiner Demontage mit dem Kapitalismus vereinbar sind. Erwartetes und zumutbares Verhalten ist in den Gesellschaften historisch entstanden durch die Verarbeitung von Konflikten und deshalb sind wirksame Pandemieeindämmung nicht in allen Aspekten für alle Gesellschaften gleich – Epidemiologie ist Naturwissenschaft, aber auch Gesellschaftswissenschaft.
Zur Literatur: Die Beiträge von Winfried Wolf und anderen in der lunapark21 können auf der Webseite im Archiv gefunden und abgerufen werden, ausführlicher sind dabei Heft 51 und 52. Einen ersten Überblick liefern die Artikel von Winfried Wolf in den lunapark21-Heften: https://www.lunapark21.net/die-pandemie-ist-real-das-versagen-der-regierenden-ist-global/         https://www.lunapark21.net/die-corona-epidemie-kam-von-aussen-wir-muessen-damit-leben/ https://www.lunapark21.net/alle-sind-ueberrascht-uups-der-winter-kommt/. Umfassend zusammengefasst ist die Position in dem Buch bei Papyrossa von Verena Kreilinger / Winfried Wolf / Christian Zeller: Corona, Krise, Kapital. Plädoyer für eine solidarische Alternative in den Zeiten der Pandemie, Neue Kleine Bibliothek 293 Paperback, 277 Seiten, lieferbar seit Ende August 2020, ISBN 978-3-89438-739-6  https://shop.papyrossa.de/Kreilinger-Verena-/-Wolf-WInfried-/-Zeller-Christian-Corona-Krise-Kapital
Zur Person:  68, Soziologe und Technik- und Sozialhistoriker, beschäftigt sich seit seiner Pensionierung vom Museum der Arbeit in Hamburg mit Karl Marx und der Entstehung seines Werkes, mit dessen Verleger Otto Meißner und seit Beginn der Pandemie anlässlich der Gründung des „Deutschen Reiches“ vor 150 Jahren mit der Frage, wie „der Staat“ sich spezifisch in den unterschiedlichen Ländern mit dem Aufkommen und Einwirken der kapitalistischen Produktionsweise aus der feudal-zünftigen Gesellschaft herausgebildet hat.

26.8. Nach der Pandemie – wohin geht Italien? (Susanna Böhme-Kuby)
Zum Thema: Die politische Ausnahmesituation in Italien und ihre Genesis, über die wirtschaftliche mit Blick auf den Recovery Fund,    über die katastrophalen Arbeitsbedingungen (zB. im Agrarsektor) und über die Substanz der Draghi-Regierung mit Ausblick auf die anstehenden lokalen Wahlen im Oktober und die Wahl des Staatspräsidenten im Februar.
Literatur: Nach der Pandemie, in: Ossietzky 7/2021, Mit Corona in Italien  sowie der Sammelband „Aus Italien“ .
Zur Person: Susanna Böhme-Kuby, Publizistin und Literaturwissenschaftlerin, lebt seit Jahrzehnten in Italien (Venedig), wo sie über “Brecht in Italien” promovierte und Deutsche Literaturgeschichte lehrte. Sie schreibt u.a. im Freitag, den Blättern für deutsche und internationale Politik und Ossietzky.

27.8. Konflikte, Sicherheits- und Friedenspolitik in und nach Pandemien (Jürgen Scheffran)
Zum Thema: In der Vergangenheit brachen Seuchen nach Kriegen aus und wurden dadurch verschärft. Die Corona-Pandemie erinnert an die Situation vor hundert Jahren, als auf die Destabilisierung der Weltordnung im Ersten Weltkrieg Krisen folgten, wie Spanische Grippe, Wirtschaftskrise, Faschismus und Krieg. Heute trifft die Corona-Krise Menschen, die durch Armut, Krieg und Flucht geschwächt sind, und wird zum Krisenmultiplikator, der bestehende Probleme sichtbar macht. Machtkämpfe, Gewaltkonflikte und Rivalitäten schwächen internationale Normen und Institutionen. Während die USA und der Westen um ihre Hegemonie kämpfen, versucht China seinen weltpolitischen Einfluss auszuweiten, während Russland Großmachtansprüche forciert. Ein neuer Kalter Krieg würde zum Brandbeschleuniger von Konfliktfeldern bis zum Klimawandel, die sich in Brennpunkten von Afrika über den Mittelmeerraum bis zur Arktis zu Kipppunkten und Risikokaskaden verdichten. Gewaltkonflikte und Rüstungsausgaben erreichen neue Höchstwerte. Die technologische Rüstungsdynamik schreitet voran, von Atomwaffen und Weltraumrüstung bis zu Cyberspace und hybriden Kriegen. Sie verbindet sich mit gesellschaftlichen Gewaltdynamiken, die zivile Infrastrukturen (Dual-use), Internet und soziale Medien erfassen, mit Fake News, Rechtsdruck und Massenprotesten. Die gemeinsame Bewältigung von Pandemie und Klimakrise in der Zivilgesellschaft eröffnet Chancen der Systemtransformation, die auch Abrüstung und Friedenspolitik umfassen.
Literatur: Brzoska M, Neuneck G, Scheffran J (2021) Corona-Pandemie – Implikationen für die Sicherheitspolitik. IFSH Policy Brief 02/21, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. https://ifsh.de/news-detail/neuer-ifsh-policy-brief-corona-pandemie-implikationen-fuer-die-sicherheitspolitik sowie Scheffran J. (2020) Welt im Aufruhr – Krankheitssymptome der Globalisierung. Wissenschaft & Frieden (Schwerpunkt: Der kranke Planet) 3-2020 (August), S. 6-10. https://wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=2450.
Weiterführend: Scheffran J (2020) Kollaps und Transformation: Die Corona-Krise und die Grenzen des Anthropozäns. Wissenschaft & Frieden 2-2020 (Mai), S. 6-9. https://wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=2431  sowie ders., (2019) Formen hybrider Kriege: Zwischen Ambivalenz und Komplexität (Schwerpunkt: Hybrider Krieg?). Wissenschaft & Frieden. 3/2019, https://wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=2378.
Zur Person: Dr. Jürgen Scheffran hält eine Professur für Klimawandel und Sicherheit am Institut für Geographie und in der Klima-Exzellenz-Initiative der Universität Hamburg. Er arbeitet mit im Vorstand der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und der Naturwissenschaftler-Initiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit, und ist einer der Leiter des International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES).

27.8. Seuche und Revolution: Die Cholera bei Heinrich Heine (David Salomon)
Zum Thema: Heinrich Heine emigrierte wie viele andere junge Intellektuelle aus den deutschen Staaten nach der Julirevolution in die Französische Hauptstadt. In Paris er- und überlebte lebte er 1832 die Cholera. Seine Darstellung verknüpft die Hoffnung auf revolutionäre Erneuerung mit einer schonungslos realistischen Darstellung des Umgangs seiner Zeitgenossen mit der Seuche: einschließlich Verschwörungstheorien und Politikversagen. Wie immer lohnt der historische Vergleich auch hier nicht nur wegen der Unterschiede, sondern auch wegen der Gemeinsamkeiten zur Gegenwart.
Literatur: Ingrid Lohmann: Rezension von: Heinrich Heine (2020):  Ich rede von der Cholera. Ein Bericht aus Paris von 1832. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Tim Jung. 1. Aufl. Hamburg: Hoffmann und Campe. 60 S.
Zur Person: Dr. David Salomon ist einer der Projektleiter des Projekts „Der Blick nach unten – Soziale Konflikte in der Ideengeschichte der Demokratie“ an der TU Darmstadt (Gefördert von der Gerda-Henkel-Stiftung).

27.8. Und jetzt? Wo verstecken sich die Interventionspunkte für eine Linke? (Plenum, Abschlussdebatte.)

Wir machen darauf aufmerksam, dass die hier zur Verfügung gestellten Textauszüge ausschließlich zur Arbeit in dieser Veranstaltung benutzt werden dürfen.
Seminarzeiten: Vormittags 9.30-11.00 sowie 11.20 bis 13.00; nachmittags 15.30 bis 16.50 sowie 17.10 bis 18.30

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